Die internationalen demografischen Ungleichheiten und Herausforderungen im Jahr 2020 bleiben mannigfaltig. Die Liste der „Aufgaben des 21. Jahrhunderts“ umfassen, neben der akuten Bekämpfung von neuen und alten Pandemien, die Bekämpfung von Armut und Hungersnot, die Deckung des globalen Rohstoffbedarfs (insbesondere der wachsenden Mittelschichten) und den Kampf gegen die Verschlimmerung der Klimakrise und die Eindämmung von terroristischen Bedrohungen – und damit sind nicht alle genannt.
Eine solche To-Do-Liste bedarf einer ebenso mannigfaltigen Liste an Werkzeugen und Maßnahmen, um früher als später ein Häkchen für Etappenerfolge setzen zu können.
Eine dieser Maßnahmen – und dabei eine der wohl nachhaltigsten – ist die Bildung bzw. die Bildungsreform. Dieses Werkzeug beschreiben Reiner Klingholz und Wolfang Lutz in ihrer Wirkung und Geschichte in dem 2016 erschienen Buch „Wer überlebt?“.
Wer sind die beiden Autoren?
Dr. Reiner Klingholz, ehemaliger Wissenschaftsredakteur leitete bis 2019 das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, wo er weiterhin als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter mitwirkt.
Prof. Dr. Wolfgang Lutz war Mitglied der unabhängigen Autoren des UN Global Sustainability Development Reports, ist Direktor des Vienna Institute of Demography und Professor am Institut für Demografie der Uni Wien.
In der EU ist das Recht auf Bildung durch Art 14 der Grundrechtscharta[1] für alle Mitgliedsstaaten verankert und verpflichtend. Doch „hilft Hilfe“ über unsere Grenzen hinaus? In diesem Diskurs positionieren sich die Autoren in der Mitte der US-Ökonomen Jeffrey Sachs und William Easterly. Sachs steht für die geldgeförderte Entwicklungszusammenarbeit; Easterly dafür, Schwellenländer, frei von monetärer und ideologischer Beeinflussung, frei von der „Tyrannei der Experten“, selbstständig aufsteigen zu lassen, wie es viele Schwellenländer auch schon geschafft haben. Somit befürworten die Autoren zwar die unmanipulative Förderung des Individuellen, aber erachten es als notwendig, Niedriglohnländern finanziell bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen zu unterstützen. Potentiale für die geförderte Breitenbildung liegen dabei in zwei Gruppen von Ländern.
1. Länder, die Bildungsreformen planen, denen aber Mittel zur Umsetzung fehlen. Bspw.: Äthiopien & Mosambik
2. Länder, die offen gegenüber Bildung sind, aber Prioritäten noch in andere Infrastrukturen setzen.
Worin liegt der Vorteil für Förderer?
1. Ethische, moralische und humanitäre Grundwerte der Gesellschaft
2. Stabilität in Niedriglohnländern minimiert Flüchtlingsströme und reduziert Terrorgefahren.
Warum Bildung? Genau genommen, sehen die Autoren die Zukunft in der Förderung von Bildung und Gesundheit, weil diese zwei Säulen den Menschen eine freie Schaffensgrundlage garantieren und so nach Easterly‘s Credo weniger politischen und ideologischen Einfluss auf die Nationen nehmen sollen.
Wie? Nach dem Motto sola schola et sanitate, nur durch Bildung und Gesundheit, wird die Bedeutung einer globalen Bildungsallianz aus Regierungen, Unternehmen und Philanthropen hervorgestrichen, welche Mittel in einer Stiftung sammeln sollten. Ziele dieser Allianz sollten an realistischere Umsetzbarkeit knüpfen, als die aktuellen SDG’s und die vergangenen MDG’s (an denen Jeffrey Sachs mitentwickelte): Statt dem SDG 4, weltweit allen Jugendlichen bis 2030 eine 12-jährige Schulbildung zu garantieren, empfehlen Klingholz und Lutz den Schulbesuch bis zum Alter von 15-16 Jahren zu gewährleisten, was einer abgeschlossene Sekundarstufe gleich käme. Eine neue solche Allianz wird angelehnt an Stiftungen, die im Gesundheitsbereich bereits aktiv und erfolgreich sind, wie das berühmte Bsp. der Gates-Stiftung. Die bildungspolitische Entwicklungsarbeit ist jedoch schwerer zur verkaufen als medizinische Maßnahmen, weil die Sichtbarkeit der Wirkung Geduld verlangt.
Die Autoren führen den/die Leser*inner mit ihrem Buch, über historische Bildungsreformen, wie Luthers Reformation der Kirche und der eingehenden tragischen Geschichte der pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai durch eine Handvoll Beispiele erfolgreicher und effektiver Bildungsreformen und -revolutionen:
A. Finnland schaffte es aus extremer Armut zu einem Technologie- und IT-Zentrum.
B. Singapur entwickelte sich vom Kolonialland, durch den schnellen Ausbau des Bildungssystem unter Lee Kuan Yew, in kurzer Zeit zu einer Wissensgesellschaft.
C. Mauritius, die ehemalige Sklavenkolonie stieg durch Bildungsreformen zu einem der reichsten Länder Afrikas auf.
D. Japan orientierte sich an Bildungssystemen erfolgreicher Länder und avancierte zur weltweit drittstärksten Wirtschaftsmacht.
E. China, das 1970 ein Pro-Kopf-Einkommen von 0,31 US-Dollar pro Tag verzeichnete, konnte sich mit umstrittenen rigorosen Maßnahmen und einer Bildungsexpansion dicht an die USA als zweitgrößte Wirtschaftsmacht anheften.
Aus ihren Erkenntnissen fassen Klingholz und Lutz einen 12-Punkte-Plan als Gerüst für die wichtigsten Ziele neuer Bildungsreformen zusammen und entlassen damit die Leser*innen in die Zukunft:
1. Frühzeitige vor-schulische Bildung
2. 10-Jahres-Minimum Schulzeit
3. Mehr & bessere Lehrer
4. Bildungsverlierer unterstützen
5. Marginalisierte Gruppen fördern
6. Diskriminierung von Mädchen verhindern
7. Nutzung aktueller Technologien
8. Lebenslanges Lernen
9. Bildung als gesellschaftliches Steuerungsinstrument für demografische Entw. nutzen
10. Regierungen der armen Länder für rücksichtslose Politik in Verantwortung nehmen
11. Aufklärung innerhalb der Religionen fördern
12. Wissenschaftliche Bildungskultur als Grundlage für staatliches Handeln akzeptieren

Quellen:
Klingholz, Reiner, and Wolfgang Lutz. 2016. Wer Überlebt? Bildung Entscheidet Über Die Zukunft Der Menschheit. Frankfurt/New York: Campus.
CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROP˜ISCHEN UNION. https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (eingesehen am 3.12.2020)
[1] CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROP˜ISCHEN UNION. https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (eingesehen am 3.12.2020)

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